Freitag, 11. Juli 2014
Kommen und gehen
Sie hat gekocht, Auberginen aus dem Ofen, Salat, Flammkuchen. Sie erzählt von der Arbeit, von der Schwierigkeit, sich mit einer institutionellen Rolle zu identifizieren. Er spricht über die Frustration, als nichts anderes mehr wahrgenommen werden, ausser als Vater. Dann sagt sie: “Ich war mal mit einem Mann zusammen, dem fehlte ein Arm. Also, von Geburt an, der linke. Er war eingeschränkt, aber was ihn bei Weitem am meisten störte, war die Tatsache, dass ihn das irgendwie als Person bestimmte. Ich hatte ihn mal ‘den Einarmigen’ genannt, er wurde fuchsteufelswild.”
Er hat aufgehört zu kauen. Er weiss, dass das ein Vergleich sein sollte, sein fehlender Arm war Adelina. Der Vergleich ist besserwisserisch und brachial, findet er und greift nach einer Beleidigung, die gegen ihn gerichtet hätte sein sollen, aber dann völlig ziellos ist: “Du schläfst auch mit allem.” Sie legt ihr Brot auf den Teller, schaut nicht mehr auf, und schon tut es ihm unglaublich leid. Er entschuldigt sich. Aber das eben noch schöne Abendessen ist hin. Zwei Sätze, ein etwas falscher Tonfall, und das Gespräch läuft schief, und plötzlich fühlt sich wieder alles falsch an. Was vorher noch ihre warme Küche war, die nach Koriander und Knoblauch roch, ist jetzt der Ort, an dem er eigentlich nicht sein sollte. Alles erinnert ihn daran, dass er lügen musste, um herzukommen, was vorher noch eine Zuflucht war, ist jetzt wieder ein Betrug. Die Bitterkeit steigt ihm im Hals hoch, plötzlich ist nur noch enttäuschend, wonach er sich seit Tagen gesehnt hat. Er möchte den Hund nehmen und gehen.
Als er zur Tür reinkam, vor nur einer Stunde, da stand sie im Flur und schaute ihn so an, wie nur sie das macht, wissend, gierig. Sie sagte, wie immer: “Na?” Dann eine Umarmung, ein Kuss, und er glaubte, die Bitterkeit verloren zu haben in diesem Moment. Und jetzt sitzt er am Tisch und ist wütend darüber, dass dieser Zustand so flüchtig war. Und während die Wut an ihm nagt, sieht er sie an und die Wut wird zu Hilflosigkeit. “Anna, ich - “ Sie steht auf, um aus dem Zimmer zu gehen, er steht auch auf, stellt sich ihr in den Weg, sie stehen beide einen Moment unsicher da, dann geht sie einen Schritt vor, er greift sie, sie atmet hörbar aus. Er entschuldigt sich, aber sie schüttelt wieder den Kopf, “Das ist es nicht.”
“Was ist denn?” Sie zögert. “Du bist wütend auf mich. Du reisst dich immer zusammen, nett zu sein, weil nicht hier sein auch nicht besser ist, aber du willst trotzdem nicht hier sein. Und dann lässt du’s an mir aus.” “Das stimmt überhaupt nicht.” Er weiss nicht, was er sagen soll. Er mag nicht mehr, nichts mehr, und es ist nicht ihre Schuld, aber trotzdem verübelt er ihr, dass sie das nicht ändert. Sie ist, was er immer wollte, aber er dachte, sie würde helfen. Aber nichts hilft. Er sagt: “Du bist, was ich immer wollte.” Sie sagt: “Aber ich mache dich nicht glücklicher, wenn du mich hast.” Er will nicht ja sagen. “Bitte schick mich nicht weg.” Sie seufzt, und sagt: “Natürlich nicht.” Sie schaut ihn lange an, mit traurigen Augen.
Sie hatte ihm mal von diesem Jungen erzählt, den sie unterrichtet hatte, während einem Primarschulpraktikum. Sie habe das ständige Fröhlichsein dieser Anstellung erschöpfend gefunden, und dann sagte ihr dieser Achtjährige aus dem nichts, sie hätte grosse Augen, die immer traurig seien.
Jetzt sagt sie: “Manchmal fühlt sich alles falsch an. Wir. Alles.” Eben noch wollte er nicht mehr. Jetzt macht sie solche Sätze, und er gerät in Panik. Er will sagen, betteln, dass sie das nicht beenden kann, darf, bitte, bitte nicht. Aber er steht nur da. Sie geht an ihm vorbei, nimmt eine Packung Papiertaschentücher aus dem Schrank im Flur, der Hund springt auf, wedelt mit dem Schwanz. “Hm, du” sagt sie, und krault seinen Kopf, streichelt seinen Rücken. Er streckt sich vor Begeisterung. Sie geht in die Knie und nimmt seinen Kopf in beide Hände, streichelt seine Ohren, und Martin sieht ihr dabei zu. Eigentlich ist alles so einfach, denkt er.
Er kniet sich neben sie und gemeinsam kraulen sie den Hundebauch. Der Hund grunzt, sie lachen. Wie alles zusammenfällt, denkt er, man möchte verzweifeln daran. Das Leichte, unweigerlich verstrickt mit dem Elenden, die Wut, und dann diese Lust an Berührung. Sie hält ihn jetzt, während er noch den Kopf des Hundes rubbelt, küsst seinen Hals, er dreht sich nach ihr um, lässt den Hund los, umschlingt ihre Taille mit einem Arm, presst sein Gesicht in ihr Haar. Dann küssen sie sich. Er beginnt sie gegen die Wand des Schrankes zu drücken, kniet jetzt über ihr, wird dringlicher, fängt an an ihren Kleidern zu zerren. Der Hund drückt seine Schnauze zwischen sie. Sie hält sich mit beiden Händen an Martins Haaren fest, sagt: “Lass uns ins Schlafzimmer gehen.”
Sie ziehen sich eilig aus, vögeln eilig. Erst ist er über ihr, er hält ihr Haar fest, bis sie sich auf ihn setzt, mit einer Hand im Schritt, während er sie an der Hüfte hält und gegen sich drückt. Sie verkrampft sich, stöhnt verhaltener, er weiss, gleich, greift nach ihrem Gesicht, einen Finger in ihrem Mund, auf den sie beisst, während sie kommt. Er spürt das Zucken, will noch nicht kommen, konzentriert sich auf den schmerzenden Finger. Ihr Körper scheint plötzlich schwerer zu werden, sie gibt nach, beugt sich näher zu ihm und schaut ihn mit einem fast abwesenden, gelösten Blick an. Er streichelt ihr Gesicht. Er sagt: “Dreh dich auf den Bauch.” Er kniet über ihren Beinen, zieht ihren Hintern zu sich, massiert sie. Er reibt sich dabei selbst, spürt noch die Feuchtigkeit ihres Schrittes, kramt aber trotzdem nach dem Gleitmittel, sie atmet schwer. “Kannst du noch,” fragt er, und die Frage gefällt ihm, sie nickt, er führt den zweiten Finger ein, dann den dritten, stösst sie, bis sie wieder zu stöhnen beginnt, dann nimmt er die Hand weg, und dringt langsam in sie, aber so tief er kann. Sie wimmert, aber er kann sich nicht mehr halten, drückt sich gegen sie, seine Hand in ihrem Haar, er zerrt, stösst, immer schneller. Er will an ihre Klitoris greifen, ihre Hand ist aber schon da, er stösst langsamer, damit sie Zeit hat, noch mal zu kommen. Jetzt stöhnt auch er, in Anstrengung und Rausch. Er zerrt an ihren Haaren, sie stöhnt, immer weniger kontrolliert, ihr Rücken krümmt sich, sie windet sich, sie kommt, jetzt drückt er ihr Gesicht in das Kissen, damit sie still genug hält, stösst härter, gleich, er kommt, unaufhaltsam, hart, mit einem Gefühl von bewusstlosem, schlagartigem, zuckendem Glück. Für vielleicht drei Sekunden legt er seinen Kopf auf ihren Rücken, er hat immer noch das Gefühl zu fallen, doch langsam fasst er sich.
Er liegt auf dem Rücken, sie vergräbt ihr Gesicht in seiner Achselhöhle, dann schaut sie ihn mit grossen Augen an. “Bis wann hast du Zeit?” “Bis elf.” Sie stellt den Wecker auf elf. Er streichelt ihr Gesicht, als er einschläft, zieht sie sich an. Um elf geht er.

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Geschichten
“Ich habe ein Männerproblem,” hatte sie dem Psychotherapeuten gesagt, in der letzten Sitzung, vor Jahren, kurz vor Ende der vorgegeben Zeit. “Und das Problem ist die Mehrzahl.” Er hatte gelacht, und gesagt: “Das klingt nach einem guten Romananfang.”
Er sagte das, weil keine Zeit mehr blieb, darüber zu sprechen, und weil er mochte, wie sie erzählte. Tagelang hörte er Leuten zu, und er freute sich, wenn jemand wie Anna da war, der gut war im Erzählen von Geschichten. “Bezeichnend wieder ist”, sagt er, “dass Sie das jetzt sagen.” Beide schauen auf die Uhr, die gut sichtbar auf dem Pult steht. Das Wichtigste, das hatten sie schon vor fünf Sitzungen festgestellt, sagt sie immer erst, wenn die Zeit um ist.
Trotzdem fand er, dass sie nicht mehr zu ihm zu kommen brauchte. Sie hatte die Muster, die ihr Leben erschwert hatten, schnell erkannt, und mit etwas Terminologie und Richtungsvorgaben schien sie gut klarzukommen.

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