Samstag, 29. Dezember 2012
Schläfe
Immer wieder A. Es ist nicht das erste Mal, als M. bei ihr schläft, aber sie hält es nicht aus im Bett, neben ihm. Sie sitzt auf dem Sofa, den Rechner auf dem Schoss, als es klingelt. Sie stolpert aus dem Zimmer, halb angezogen, wickelt sich in einen Schal und öffnet die Tür. Als er in der Tür steht, ärgert sie sich, nicht angezogener zu sein.
Sie sagt, “Ich bin nicht allein.”
Er schaut sie einen Moment lang an.
“Ich hätte nicht herkommen sollen.”
“Du hättest anrufen können.”
“Dir ist kalt.” Er zieht sein Jackett aus und legt es ihr über die Schultern. “Wie ritterlich.”
Er lächelt, dann zieht er sie an sich, küsst ihre Schläfe. Für einen Moment bleiben sie so stehen, dann sagt er, “Du riechst nach seinem Aftershave,” und lässt sie los. Er seufzt. “Hast du was zu essen da?” fragt er, und geht in die Küche. “Nicht viel,” sagt sie, aber er steht schon am Kühlschrank. Er nimmt Zucchini und Eier heraus, und beginnt, die Schränke zu durchsuchen. Sie setzt sich an den Küchentisch, und legt sich den Schal über die Beine. Ihr ist nicht mehr kalt, aber sie zittert noch.
Beim Zwiebelschneiden fragt er, “Wer ist er?”
“Von der Uni.”
Sie schweigen, er brät Zucchini an. Sie fragt ihn, ob er ein Bier mag, öffnet eines, stellt es neben ihn. Er trinkt und schaut sie dabei an. Für einen Moment gibt es sie.
Dann fasst er sie an den Nacken, greift in ihr Haar, zieht daran. “Du bist dünner geworden,” sagt er, “du musst was essen.” Die Schlafzimmertür geht, er lässt ihr Haar los, und M. steht in der Küchentür.
“Haben wir dich geweckt?”
Sie stellt beide einander vor. Danach laute Stille.
“Isst du mit?” fragt A.
“Ähm, nein, ich glaub, ich geh—.” Er zeigt zum Schlafzimmer.
“Okay.”
Er bleibt noch einen Moment stehen, schaut sie an und geht dann. Sie isst mit A. Sie winkelt ein Bein an, zwischen sich und dem Tisch, und sieht, wie er es sieht, das Gesicht verzeiht, aber nichts sagt. Sie weiss, dass er sagen will, “Setz dich recht hin.” Aber er weiss, dass er kein Recht mehr dazu hat. Er schaut sie nicht mehr an. Beim Abwaschen fragt er sie über ihre Arbeit aus, sie reden über Robert Walser, den er nicht mag, und Herta Müller, die er nicht gelesen hat.
Dann sagt er, “Er sieht nicht aus wie ein Student.”
“Er ist kein Student.”
“Sondern?”
Sie zögert. “Privatdozent.” Für einen Moment dreht er sich um und schaut sie an. Dann schneidet er weiter und sagt, “Klar.”
Als das Wasser abgiesst, stellt er sich hinter sie, und während sie noch die Teller trocknet, sind seine Hände an ihrem Bauch. Dann küsst er ihren Nacken und sie bewegt sich nicht mehr. Er drückt sie gegen den Küchentresen, legt seinen Mund an ihr Ohr und sag dann, “Ich würde dich gerne ficken, während er nebenan auf dich wartet.”
Dann lässt er sie los. Er sagt, “Ich sollte gehen.” Sie räumt die Teller weg.
Als sie sich umdreht, schaut A. sie an. “Oh.” Sie zieht das Jackett aus. Er greift nochmals ihr Haar, dreht ihren Kopf zur Seite und küsst sie auf die Schläfe. Warum immer die Schläfe, denkt sie und er geht.
Als sie ins Schlafzimmer kommt, sitzt M. im Bett, wartend.

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