Mittwoch, 26. Dezember 2012
Gschleipf
Sie war achtzehn und schaute aus dem Fenster, als plötzlich alle lachten. Der alte Geschichtslehrer grinste sie an, über sein kleines Pültchen gebeugt. "Was?" fragte sie, aber der Lehrer fuhr mit dem Unterricht fort, mit seinem Bernerischen Hochdeutsch und seinen ungeschickt gestikulierenden Händen.
"Was war los?" fragte sie nach der Stunde. Die Mitschülerinnen grinsten und wiederholten, was der Lehrer gesagt hatte, als sie aus dem Fenster schaute: "Meitschi, hesch es Gschleipf?"
Und ja, ein Gschleipf hatte sie. Mit ihm, mit sich, mit dem Leben. Immer wars ein Zeugs mit ihr, nie konnte sie sich richtig entscheiden, immer wollte sie nicht nur das eine, das hatte er gestern erst gesagt. Zehn Jahre später, und nicht hat sich geändert, denkt sie: Immer noch alles ein Gschleipf.

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